Ermittlungsausschuss (EA) Frankfurt | 4.4.2012 |
Am vergangenen Samstag ist in Frankfurt die bundesweite M31-Demonstration anlässlich des „european action day against capitalism“ vorzeitig aufgelöst worden, nachdem die Polizei massiv in die Versammlung eingegriffen und das gesamte hintere Drittel der Demonstration in der Battonstraße eingekesselt hat. Über 200 DemoteilnehmerInnen mussten den Abend und z.T. die darauffolgende Nacht im Polizeikessel verbringen. Insgesamt wurden mehr als 460 Personen festgenommen und in Gefangenensammelstellen oder Gewahrsamszellen in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Offenbach gebracht.
Angesichts dieser Massenfestnahmen und der unübersichtlichen Lage nach der Auflösung der Demonstration war es für uns schwer, ein Gesamtbild über die Zahl der Festgenommenen, Eingekesselten und Verletzten zu bekommen. Wir haben bis jetzt längst nicht alle Berichte zum Verlauf des Polizeieinsatzes erhalten und auswerten können. Dennoch können wir sagen, dass die Polizei im Laufe des Abends eine gesamte Demonstration auf Grund mehrerer militanter Aktionen, bei denen am Nachmittag Farbbeutel auf die EZBgeflogen und Fenster entglast worden waren, kriminalisiert hat und mit ihren Maßnahmen schwer in die Grundrechte einer Vielzahl von DemoteilnehmerInnen eingegriffen hat.
Die Einkesselung von hunderten DemonstrantInnen über eine Zeitspanne zwischen drei und zehn Stunden war aus unserer Perspektive in jeder Hinsicht unverhältnismäßig. Viele der Eingekesselten wurden ab der Errichtung des Kessels um kurz vor 17 Uhr bis spät in die Nacht in der Battonstraße/Allerheiligentor festgehalten und anschließend weiter ins Gewahrsam transportiert. Gegen 22 Uhr befanden sich noch immer über 100 Personen im Kessel, die letzten Eingeschlossenen konnten unserem Kenntnisstand nach erst gegen 4 Uhr morgens den Kessel verlassen. Ein Polizeikessel ist grundsätzlich Freiheitsentziehung ohne richterliche Genehmigung. Wenn dieser allerdings über einen derart langen Zeitraum unter freiem Himmel aufrecht erhalten wird, kann man das aus unserer Sicht nur als rechtswidrige Freiheitsentziehung bezeichnen.
Die Bedingungen in dem Kessel zeugen insgesamt weniger von einem organisatorischen Unvermögen der Frankfurter Polizei als vielmehr von systematischer Schikane. Erst nach guten fünf Stunden der Einkesselung wurden den Eingeschlossenen von der Polizei Wasser und Decken zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus liegen uns Berichte vor, dass RechtsanwältInnen und zeitweise auch Sanitätern der Zugang zu den Eingekesselten von Seiten der Einsatzkräfte verweigert wurde. Als wir diesbezüglich mit dem Einsatzleiter über eine Anwältin in Kontakt treten wollten, war dieser nicht zu erreichen.
Auch am 31. März hat sich die Frankfurter Polizei – wie wir es bereits von ihr gewohnt sind – wieder einmal durch ihre unangemessene Behandlung von jugendlichen Festgenommenen hervorgetan. Anstatt Jugendliche differenziert von erwachsenen Festgenommenen zu behandeln und die Freiheitsentziehung für die unter 18-Jährigen zu vermeiden oder möglichst gering zu halten, wie es u.a. die Polizeidienstvorschrift 382 zur „Bearbeitung von Jugendsachen“ vorsieht, lässt sich bereits jetzt sagen, dass die Einsatzleitung der Frankfurter Polizei ihre eigenen Regeln auch beim jüngsten Großeinsatz konsequent missachtet hat. So wurde eine hohe Zahl an Minderjährigen stundenlang in den Polizeikesseln und im Anschluss daran in Gewahrsamszellen festgehalten. Uns sind allein 35 Jugendliche namentlich bekannt, die bis zu 8 Stunden von Freiheitsentziehung betroffen waren. Zum Teil wurden die unter 18-Jährigen im Gewahrsam verhört und erkennungsdienstlich behandelt und mussten sich dort vollständig entkleiden. Es ist davon auszugehen, dass insgesamt noch viel mehr Jugendliche von solchen Repressalien betroffen waren. Die Polizei schreckte in der Nacht noch nicht einmal davor zurück, mehrere 17-Jährige in Gesas nach Darmstadt und Offenbach transportieren zu lassen.
Insgesamt können wir feststellen, dass die Frankfurter Polizei aus vergangenen Einsätzen, bei denen genau diese Rechtsverstöße und institutionellen Formen von Gewalt immer wieder kritisiert worden sind, keinerlei Konsequenzen gezogen hat. Es liegt der Verdacht auf der Hand, dass es sich hierbei nicht um ein organisatorisches Versagen des Polizeiapparates, sondern um planmäßige Rechtsverstöße der Einsatzleitung handelt. Dieser Verdacht wird noch dadurch verstärkt, dass die Polizei am 31.3. zu keiner Zeit bereit war, über solche Rechtsverstöße mit sich reden zu lassen oder mit AnwältInnen zu verhandeln (Zitat: „Sie können dies gerade eben hier nicht durchsetzen“). Versuche gab es genügend. Seitens der Polizei wurde u.a. behauptet, man erwirke einen richterlichen Beschluß zur Rechtfertigung der Dauer der Ingewahrsamnahmen – es gab einen solchen Beschluß jedoch zu keiner Zeit.
Dass die Polizei in Frankfurt seit Jahren kontinuierlich die Rechte von DemonstrantInnen verletzt, ist kein Zufall, sondern hat aus unserer Sicht System. Diese polizeiliche Praxis der Repression und Einschüchterung dient dazu, den politischen Preis für die Teilnahme an Demonstrationen hoch zu halten, um möglichst viele potentielle TeilnehmerInnen davon abzuhalten, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.
Wir rufen alle Kriminalisierten der M31-Demo dazu auf, Gedächtnisprotokolle zu schreiben und inverschlüsselter Form an den Ermittlungsausschuss zu schicken. Außerdem bieten wir am Montag, den 9.4.2012 ab 19.00 Uhr eine Rechtshilfeveranstaltung im Club Voltaire (Frankfurt) an, auf der Betroffene sich über strafrechtliche Konsequenzen der Demonstration und den Umgang mit Justiz und Polizei während eines Ermittlungsverfahrens informieren können. Ort und Zeit werden in Kürze auf dieser Website bekannt gegeben.