Komm, lieber März… »Brainstorming« gegen Krisenpolitik
Für dieses Jahr planen verschiedene Bündnisse auch in Deutschland Krisenproteste. Ein Bündnis linksradikaler Gruppen und Basisgewerkschaften aus mehreren europäischen Ländern ruft zu einem europaweiten antikapitalistischen Aktionstag gegen die EU-Krisenpolitik auf und schreibt sich auf die Fahnen, »massive Proteste« organisieren zu wollen. Stattfinden soll der Aktionstag am 31. März 2012 – das Datum ist zugleich namensgebend für das Bündnis »M31«. Schauplatz der Aktion in der BRD wird Frankfurt am Main sein. Ein weiteres – hauptsächlich von der Interventionistischen Linken (IL) initiiertes – Bündnis möchte im Mai gleich eine ganze Woche die Bankenstadt Frankfurt zum Ort der Auseinandersetzung machen. Marian Fischer hat mit »Sandra« gesprochen, die an der Organisa- tion des Aktionstags am 31. März beteiligt ist.
Kannst Du einleitend kurz Euer Bündnis vorstellen? Wer ist daran beteiligt und wie kam es zustande?
M31 ist ein europaweiter Zusammenschluss von linksradikalen Gruppen, Organisationen und Basisgewerk- schaften, die für den 31. März 2012 unter dem Motto »European Day of Action against Capitalism« zu ei- nem Aktionstag aufrufen. Beteiligt sind zurzeit Gruppen und Organisationen aus dem (post-)autonomen Spektrum und aus Basisgewerkschaften in Deutschland, Griechenland, Belgien, Österreich, Spanien, den Niederlanden und Polen. Des Weiteren haben Gruppen aus Italien, Dänemark und Frankreich Interesse bekundet. Zusammengefunden haben wir, nachdem wir mit unserem lokalen Bündnis – dem Krisenbündnis Frankfurt – im November befreundete Gruppen und Organisationen zu einem ersten europaweiten Treffen nach Frankfurt eingeladen haben. Dort haben wir unsere Ideen für den Aktionstag gemeinsam diskutiert und schnell herausgefunden, dass wir uns alle in Bezug auf die inhaltliche Basis sowie den Wunsch nach einer grenzübergreifenden Vernetzung und Zusammenarbeit einig waren. Ziel unserer gemeinsamen Arbeit ist der Kampf gegen die autoritären und reaktionären Krisenpolitiken der einzelnen Nationalstaaten und der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF.
Das Bündnis besteht hauptsächlich aus dezidiert antikapitalistischen Gruppen. Ist von Eurer Seite auch eine Ausweitung auf andere Spektren und Bewegungen angedacht?
Natürlich. Bei allen Unterschieden sind wir grundsätzlich mit jeder Form des emanzipatorischen Protestes gegen die kapitalistische Zurichtung solidarisch. Wir freuen uns über alle Initiativen, die sich unserem Pro- jekt anschließen wollen, und unterstützen auch die Aktionen anderer Zusammenschlüsse.
Da sollte sich ohnehin niemand Illusionen machen: Mit einer Aktion alleine werden wir alle an der autoritären Krisenpolitik nichts ändern. Insofern begreifen wir den 31. März als hoffentlich kraftvollen Auftakt für eine ganze Reihe von weiteren Aktionen im Laufe des Jahres 2012. Trotzdem hoffen wir auch für den 31. März noch, dass sich uns Initiativen aus dem antirassistischen Kontext oder dem Spektrum der linken Gewerk- schafterInnen anschließen werden.
Du sagst, dass die Krise Euer gemeinsamer Arbeitskontext sein wird, habt Ihr Euch auf eine Analyse und Interpretation der Krisendynamik geeinigt?
Zuerst halten wir die Krise nicht für einen zufälligen Fehler, sondern für eine strukturelle Begleiterscheinung des Kapitalismus. Solange die Maximierung der Profite das Leitmotiv der Gesellschaft ist, wird eine Krise auf die nächste folgen. Wollen wir uns also ernsthaft und auch dauerhaft gegen die negativen sozialen Fol- gen der kapitalistischen Krisen und ihrer politischen Regulierung wenden, müssen wir diese gesamte irratio- nale Produktionsweise überwinden. Medien und Politik wollen uns weismachen, dass die immer neuen Not- programme der einzige Weg sind, um die Krise zu bewältigen. Gedroht wird mit Zusammenbruch, Rezessi- on und Armut, aber gleichzeitig werden mit dieser Katastrophenrhetorik in fast allen europäischen Ländern marktradikale Reformen durchgesetzt. Kurzarbeitergeld, Erhöhung des Rentenalters bei gleichzeitiger Kür- zung der Bezüge, tiefgehende Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme – das sind nur einige Beispiele dafür, wie die Krise auf Kosten der Lohnabhängigen und sozial Schwächeren gelöst werden soll. Indem in der EU auf einen brutalen Sparkurs gesetzt wird, um die Profite der Privatwirtschaft zu sichern, wird genau die destruktive Logik des Kapitalismus bestätigt. Für dieses ständige Krisenmanagement, das nicht nur von den Banken, sondern maßgeblich von den politischen Institutionen der Troika durchgesetzt wird, wollen wir unser Leben nicht verschwenden.
Wie würdest Du vor diesem Hintergrund die Zielsetzung Eures Aktionstages beschreiben? Was versteht Ihr unter »massiven Protesten« und was wollt Ihr konkret damit erreichen?
Unsere Stoßrichtung geht genau genommen in mindestens zwei Richtungen: Zum einen möchten wir ein deutliches Zeichen gegen das autoritäre Krisenmanagement von EU und Troika setzen, das momentan ja maßgeblich von Deutschland vorangetrieben wird. Dagegen machen wir eine grenzübergreifende Perspek- tive der Selbstorganisation stark, die sich auch gegen die nationalistische Stimmungsmache gegenüber den Lohnabhängigen in den südeuropäischen Ländern und die Abschottung der EU-Außengrenzen richtet. Am 31. März sind in mehreren europäischen Staaten Aktionen und Demonstrationen geplant. Sehr wichtig ist uns außerdem, mit einer europaweiten Diskussion und Vernetzung über die übliche linke Symbolpolitik hinauszugehen. Wir wollen uns langfristig und außerhalb der staatstragenden Institutionen organisieren und dafür auch über die Spektrengrenzen hinaus mobilisieren. Dabei setzen wir auf die Anbindung unserer Akti- onen an die konkreten Auseinandersetzungen und Konflikte vor Ort.
Und an welche Auseinandersetzungen knüpft Ihr da in Frankfurt an?
Na ja, dass die Großbaustelle der Europäischen Zentralbank im Frankfurter Ostend, das traditionell eher von sozial Schwächeren bewohnt ist, einen enormen Aufwertungsschub ausgelöst hat, ist ja kein Geheimnis und passt in der Tendenz in die Stadtentwicklung, die von dem Image der internationalen Bankenmetropole leben soll und in der überteuerte Mieten die Regel sind. Zwar gibt es hier bisher keine eigenständige Pro- testbewegung, aber die Themen werden im städtischen Diskurs inzwischen sehr kontrovers diskutiert und durch die Verschärfung der sozialen Einschnitte ist hier auch noch zunehmender Unmut zu erwarten. International gestaltet sich diese Anknüpfung aber sehr unterschiedlich. In Thessaloniki werden z.B. die Kämpfe gegen die Privatisierung der Wasserversorgung ein Punkt sein.
Warum ist Euch diese grenzübergreifende Perspektive so wichtig?
Bereits der Erfahrungsaustausch auf unserem ersten europaweiten Treffen hat uns deutlich gemacht, dass der unterschiedliche Krisenverlauf in den einzelnen Ländern die Gruppen und Organisationen mit sehr ver- schiedenen Herausforderungen konfrontiert. Während wir hier in Deutschland z.B. noch ein wenig mit den Befindlichkeiten der einzelnen Strömungen zu kämpfen haben, sind unsere griechischen GenossInnen hauptsächlich damit beschäftigt, die gröbsten Folgen der schon jetzt grassierenden Armut einzudämmen. Dort kommen zu den hier auch als Volksküchen bekannten Treffen in linken Zentren inzwischen täglich Menschen, die der Hunger dorthin treibt. Ungeachtet der verschiedenen Ausgangsbedingungen haben wir aber ein gemeinsames Ziel, auf das wir uns auch sehr schnell verständigen konnten: Wir wollen den Kapita- lismus nicht retten, sondern überwinden, und wir widersetzen uns nationaler Interessenpolitik und nationalis- tischer Krisenideologie. Dafür müssen wir endlich anfangen, die fatalen Zwänge des Kapitalismus und sei- ner politischen Institutionen zu brechen, denn »Echte Demokratie«, wie sie in vielen Protesten gefordert wird, geht nur ohne Kapitalismus.
Und das Kapital organisiert sich ja auch global, während die sozialen Kämpfe dagegen momentan noch sehr stark fragmentiert sind. Wenn wir unserem Gegner auf Augenhöhe begegnen wollen, müssen wir diese Spaltung überwinden und eine Vernetzung schaffen, in der wir einerseits gegenseitig von unseren unter- schiedlichen Erfahrungen profitieren können, uns aber andererseits auch ganz praktisch unterstützen. Ein Beispiel dafür sind die Kämpfe, die aktuell gegen die Privatisierung der Wasserwerke in Thessaloniki anlau- fen. Dort hat sich ein lokaler Zusammenschluss gebildet, der sich die Vergesellschaftung der Infrastruktur zum Ziel gesetzt hat. Indem wir Aktionen gegen die deutschen Standorte des dort verantwortlichen Unter- nehmens in Berlin und Frankfurt organisieren, können wir die Kämpfe unserer GenossInnen über Solidari- tätsbekundungen hinaus auch von hier aus begleiten.
Kannst Du noch etwas zum aktuellen Stand Eurer Mobilisierung in Deutschland sagen? Wie ist z.B. Euer Verhältnis zu den anderen geplanten Protesten?
Nach ersten regionalen und bundesweiten Treffen schließen sich aktuell immer mehr Gruppen der Idee an. Die ersten Aufrufe und Plakate sind fertig und es gibt eine europaweite Internetseite, die sich langsam auch mit Inhalten füllt. Meine Hoffnung ist, dass sich die verschiedenen Mobilisierungen noch mehr verzahnen. Im Moment sieht das ganz gut aus und würde auch für die deutsche Linke eine neue Qualität in den Protesten darstellen. Jetzt schon zeigt sich, dass inhaltliche Differenzen durch die praktische Zusammenarbeit teilwei- se in den Hintergrund treten können. Es wäre natürlich fatal, wenn man zu diesem Zeitpunkt inhaltliche Ab- striche machen würde, aber ich nehme gerade wahr, dass angesichts der massiven sozialen Angriffe inner- halb der verschiedenen Organisationen (Diskussions-)Prozesse ausgelöst werden, durch die alte Wider- spruchslinien und Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen der Linken wieder in Bewegung geraten.
Und wie geht es danach weiter?
Für uns steht der Aktionstag am Anfang eines hoffentlich protestreichen Jahres 2012. Wir wollen uns durch Vernetzung und das Experimentieren mit verschiedensten Aktionsformen ein ernst zu nehmendes Wider- standspotenzial erarbeiten, mit dem wir auch in den kommenden Auseinandersetzungen besser eingreifen können. Es geht also auch darum, den bisher eher beobachtenden und kommentierenden Status, auf den sich die Linke in den letzten Jahren zumindest hierzulande zurückgezogen hat, zu verlassen und uns ganz praktisch einzumischen. Eine spürbare Organisierung linker Opposition europaweit ist dabei die Vorausset- zung dafür, um auf die Angriffe der Troika gemeinsam reagieren zu können, gleichzeitig aber auch die Stärke zu haben, um den konkreten Auswirkungen im Lokalen begegnen zu können.
Im Vordergrund steht für uns also der längst überfällige Erfahrungsaustausch, auch über die eingefahrenen Spektrengrenzen hinweg, und die praktische Solidarität. Angedacht ist also einerseits, Kommunikationsräu- me zu eröffnen, die uns diese tiefergehende Diskussion ermöglichen. Andererseits werden in diesem Rah- men auch weitere Aktionen geplant. Wie diese konkret aussehen können, werden wir aber erst nach einer ausführlichen Auswertung unseres ersten Aktionstages diskutieren können. Sie sollen aber auf jeden Fall in einem solidarischen Verhältnis mit den anderen Mobilisierungen im
Mai und im Herbst stehen.
Wir danken für das Gespräch.
Informationen zu den geplanten Krisenprotesten unter: march31.net
erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/12 express im Netz unter: www.express-afp.info